Schweizerische Gesellschaft
für bedrohte Sprachen

Feldforschung im nordindischen Himalaya (Sunnami und Chitkhuli)
August 2016

Manuel Widmer

Dorf Sunnam Dorf Chitkhul
Die Dörfer Sunnam (links) und Chitkhul (rechts)

Vom 1. August bis 15. August 2016 führte ich im nordindischen Himalaya während zweier Wochen Feldforschung zur Sprache Sunnami durch. Sunnami ist eine von mehreren tibetobirmanischen Minderheitensprachen, die im Distrikt Kinnaur des indischen Bundesstaat Himachal Pradesh gesprochen werden. Das Sunnami verfügt lediglich über wenige hundert Sprecher, die im Dorf Sunnam im abgeschiedenen Hochgebirgstal von Ropa leben. Ziel des Feldforschungsaufenthaltes war es, die grammatischen Grundlagen des Verbal- und Nominalsystems zu erarbeiten und auf Basis einer zweihundert Jahre alten Wortliste ein zeitgenössisches Grundvokabular der Sprache zusammenzustellen.

Ropa-Tal Sunnami-Sprecherinnen
Das Ropa-Tal (links) | Interview mit zwei Sunnami-Sprecherinnen (rechts)

Da im Dorf Sunnam selbst keine Übernachtungsmöglichkeiten bestanden, bezog ich mein Quartier im Nachbardorf Gyabong, das wenige Kilometer talaufwärts gelegen ist. Von dort unternahm ich täglich Ausflüge nach Sunnam. Hierbei wurde ich von meinem Gastgeber in Gyabong, Herrn Gian Singh Negi, tatkräftig unterstützt. Er begleitete mich stets auf diesen Ausflügen und half mir dabei, Informanten für meine Arbeit zu finden. Zudem lud er für einige Tage eine befreundete Person aus Sunnam zu sich nach Hause ein, mit der ebenfalls Aufnahmen gemacht wurden. Auf diese Weise konnten während meines Aufenthaltes Aufnahmen mit einer Gesamtlänge von gut 12 Stunden gemacht und ein Vokabular mit 700 Einträgen zusammengestellt werden. Zudem konnten die Grundzüge der Grammatik des Verbal- und Nominalsystems erarbeitet werden.

Darbietung eines traditionellen Tanzes in Gyabong Der Tempelbezirk von Chitkhul
Darbietung eines traditionellen Tanzes in Gyabong (links) | Der Tempelbezirk von Chitkhul (rechts)

Da meine Aufenthaltsbewilligung für das an der Grenze zu China gelegene Ropa-Tal lediglich zwei Wochen gültig war, musste ich das Gebiet am 15. August bereits wieder verlassen. Ich entschied mich im Anschluss, die verbleibenden Tage im Distrikt Kinnaur für Feldforschung zu Chitkhuli zu nutzen. Chitkhuli ist eine weitere tibeto-birmanische Minderheitensprache der Region, die von 1,000 Sprechern in zwei Dörfern im oberen Baspa-Tal gesprochen wird und zu der bis zum heutigen Tag nur zwei kurze grammatische Abrisse aus den Jahren 1915 und 1992 vorliegen. Um die knappe Zeit optimal nutzen zu können, heuerte ich einen Guide an, der mich auf meinem Ausflug begleitete und mir bei der Suche nach Informanten behilflich war. Auf diese Weise konnten innerhalb von drei Tagen 6 Stunden Aufnahmen zum Chitkhuli gemacht und ein Vokabular der Sprache mit 376 Einträgen erstellt werden. Zudem konnte ich mit meinem Guide, der selbst Sprecher der tibeto-birmanischen Sprache Shumcho ist, mehrere Stunden Aufnahmen machen und eine Liste des Grundwortschatzes mit 333 Einträgen erarbeiten.

Darbietung eines traditionellen Tanzes in Gyabong
Interview mit einem Chitkhuli-Sprecher

Am 22. August verliess ich Kinnaur in Richtung Shimla, der Hauptstadt Himachal Pradeshs. Dort besuchte ich Angehörige von Familien aus Sunnam, um Kontakte für spätere Feldforschungsaufenthalte zu knüpfen.

Insgesamt betrachtet war der Feldaufenthalt in Kinnaur ein voller Erfolg. Es konnten wertvolle Daten für die vergleichende Erforschung der tibeto-birmanischen Sprachen Nordindiens gesammelt und Kontakte zu diversen Sprechergemeinschaften geknüpft werden, die für zukünftige Projekte von grossem Nutzen sein werden.